Ein Radrennen, vier 80-Jährige und Hörgeräte
Der Würselener Paul Thelen hat schon viele Hürden genommen, geschafft, was wenige Menschen in ihrem Leben schaffen und bereitet sich nun mit seinen drei Freunden auf eine weitere Herausforderung vor. Die Vier werden beim Race Across Amerika, kurz RAAM, dem härtesten Radrennen der Welt, teilnehmen. Das Besondere: Alle vier Sportler sind 80 Jahre alt. Erstmalig tritt ein Team dieser Altersstruktur bei dem Rennen an. Wir haben mit ihm gesprochen, über Motivation und Hörgeräte.
Redaktion: Schön, dass Sie bei uns sind, Herr Thelen. Bitte bedienen Sie sich. Mögen Sie Erdbeerkuchen?
Thelen: Ich liebe Erdbeerkuchen. Aber ich habe eigentlich schon ein Kilo zu viel drauf. Ich muss mich später beim Essen bremsen.
Redaktion: Wieso? Sie sind doch überaus schlank.
Thelen: Ja schon, aber für unser Rennen muss ich mein ideales Kampfgewicht bestenfalls wochenlang halten und auch schon mit dem Wettkampfgewicht trainieren. Zu viel ist natürlich eine Belastung auf dem Rad, zu wenig aber auch.
Redaktion: Ihr Vorhaben klingt für den Ottonormalbürger ziemlich verrückt. Aber Sie sind ja nicht allein. Wie haben Sie drei andere Fahrer gefunden, die scheinbar genauso verrückt sind?
Thelen [lacht]: Ich mache so verrückte Aktionen ja öfter. Da kennt man sich. Roland kenne ich von anderen Ultrarennen. Mit ihm bin ich das RRAM schon mal vor 5 Jahren gefahren, damals als 2er Team. Friedrich, den wir alle Fritz nennen, haben wir aber lange gesucht. Wir wollten gern zu viert in der Altersklasse über 80 an den Start gehen. Ein Jahr haben wir gebraucht, um Fritz zu finden.
Redaktion: Sie waren ja der eigentliche Ideengeber. Wie sind Sie darauf gekommen, zu viert im Alter von 80 Jahren das härteste Radrennen der Welt zu machen?
Als ich mit Roland das RAAM vor fünf Jahren gemacht habe und wir beide im Ziel waren, da haben wir uns geschworen, dasselbe Rennen nochmal im Alter von 80 zu machen. Darauf haben wir dann fünf Jahre hingearbeitet.
Redaktion: Wer gehört noch zum Team? Wie müssen wir uns die Organisation vorstellen?
Thelen: Wir haben ein fantastisches Team. Es sind 19 Freundinnen und Freunde, alle so radsportverrückt wie wir. Das ganze Rennen ist ja nicht nur eine körperliche Herausforderung für uns, sondern eine riesen Aufgabe der Organisation. Wir fahren immer in 2er Teams und wechseln uns ab. Das heißt, die ganzen 8 bis 9 Tage ist einer der Rennfahrer auf der Strecke. Wir vier bilden zwei 2er Teams. Jedes 2er Team ist 8 Stunden im Einsatz, dabei wechseln sich die beiden Fahrer im Stundenrhythmus beim Zeitfahren ab. Dann ist das andere Team an der Reihe und das erste Team hat 8 Stunden Pause. Dafür müssen 2 Wohnmobile mitfahren, damit der, der Pause hat schlafen und essen kann. Außerdem haben wir noch 2 Follow Vehicel dabei, die hinter den Radfahrern fahren und sie vor dem Verkehr schützen sowie ein Medienfahrzeug mit 2 Kameraleuten, die das Geschehen dokumentieren.
Die viel größere Leistung bringen nicht die Fahrer, sondern das Team. Sie haben weniger Ruhe- und Schlafphasen. Der dadurch schon in Mitleidenschaft gezogene Bio-Rhythmus wird durch den Wechsel von insgesamt drei Zeitzonen weiterhin beeinträchtigt. Zusätzlich muss die Crew viel Rücksicht nehmen. Neben den Wohnmobilen sind drei Vans mit auf der Strecke. Zum Team gehörten der Crew-Chef und der sportliche Leiter – das sind sozusagen die zwei Chefs, denn sie kümmern sich um die Organisation, Logistik und und die sportliche Steuerung der Fahrer. Und natürlich unser Physiotherapeut, der sich nach jeder Rennschicht um unsere körperliche Erholung und Fitness kümmert. Außerdem müssen wir essen, um möglichst schnell wieder Kraft zu haben. Wir sind Tag und Nacht auf der Strecke, auf engstem Raum mit Schlafentzug und teilweise extremen Wetterverhältnissen.
Ich beschreibe es gern so: Unsere Crew sorgt dafür, dass wir ankommen. Unsere Aufgabe besteht darin, das möglichst schnell zu tun.
Redaktion: Wie haben Sie die Crew gefunden?
Thelen: Das sind Freunde oder Freunde von Freunden. Alle sind ein bisschen radsportverrückt, das muss man wohl auch sein, wenn man bei so etwas mitmacht. Die meisten können an einem Rad schrauben, wenn etwas kaputtgehen sollte. Das ist natürlich auch wichtig.
Redaktion: Wann geht es los?
Thelen: Unsere Vortruppe reist am 6. Juni an. Wir, die Rennfahrer kommen dann am 14. Juni dazu. Der Startschuss fällt am 17. Juni in Ocean Side in Kalifornien am Pazifik.
Redaktion: Sie sind die Strecke ja schon einmal mit Roland 2018 gefahren. Was erwartet Sie?
Thelen: Die Strecke umfasst knapp 5.000 km, 12 Staaten. Es geht direkt am Anfang erstmal durch drei Wüsten. Hier sieht man nachts einen unglaublichen Sternenhimmel, weil es dort ja kein künstliches Licht gibt. Das habe ich beim letzten Mal sehr genossen, während des Wechselns in den Sternenhimmel zu schauen. Dann geht’s in die Rocky Mountains. Der höchste Pass ist auf 3304 Meter und nenn sich Wolfscreek. Hier hatten wir beim letzten RAAM 2 Grad und Regen. Die Witterungsverhältnisse sind eine Herausforderung. Dann kommen lange gefährliche Abfahrten, bei denen wir die Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h erreichen. Danach kommen bis zu 50 km lange Geraden in den Great Plains. Auch hier ist das Wetter eine Herausforderung, denn die Strecke ist sehr gewitteranfällig und die Gewitterzellen sind hier oft sehr groß.
Wenn wir dann die 2 km lange Mississippi-Brücke überqueren, haben wir es fast geschafft. [lacht] Es gibt unter uns das Sprichwort: Wer den Mississippi erreicht, erreicht das Ziel. Dann geht es weiter an großen Kanonen vorbei, die zu den Battle Fields gehören, einem Openair-Museum zum Thema Bürgerkrieg. Und dann kommen die Appalachen. Für mich schwieriger zu fahren, als die Rockies. Denn hier gibt es kurze, giftige Abfahrten und das über viele Stunden hinweg. Dann kommen wir am Atlantik in Annapolis/Maryland an, das ist etwa eine Autostunde südlich von Washington, DC.
Redaktion: Was meinen Sie, wie werden Sie sich im Ziel fühlen?
Thelen: Im Ziel überkommt mich immer das unglaubliche und auch immer etwas surreale Gefühl, so etwas geschafft zu haben – und das hoffentlich auch unfallfrei ohne wirkliche Probleme.
Redaktion: Worauf freuen Sie sich im Ziel am meisten?
Thelen: Einen Burger, Fritten und ein kaltes Bier. Wir verzichten ja schon monatelang auf wirkliches Genussessen. Was wir wann in welchen Mengen zu uns nehmen, was und wie viel wir trinken, bestimmt unser Plan. Nicht der Spaß oder die Lust am Essen oder an Getränken.
Redaktion: Wie läuft die Vorbereitung für ein solches Rennen ab?
Thelen: Wir müssen sehr genau auf unsere Kalorienzufuhr achten. Vor dem Training gibt es natürlich, wie bei allen Sportlern, viele Kohlenhydrate in Form von Kartoffeln, Reis und Nudeln. Danach geht es vor allem um die Proteinzufuhr. Damit ich genug trinke, habe ich eine Trinkerinnerung in meinem Rad-Computer eingebaut. Beim Rennen selbst brauche ich auf dem Rad etwa 70g Kohlenhydrate pro Stunde sowie die richtige Menge an Mineralien und Spurenelementen. Wir haben da einiges ausprobiert und sind jetzt bei einer Trinkmischung gelandet, die am optimalsten für uns ist.
Das Training ist ebenfalls ganz genau abgestimmt. Ich steige nicht einfach auf mein Rad und fahre eine Strecke. Momentan simuliere ich die Rennsituation einer 8 Stunden Rennschicht. Das bedeutet, ich fahre eine Stunde sehr schnell, dann eine Stunde Pause und das vier Mal im Wechsel.. Zusätzlich mache ich in der Eifel einige Entspannungsfahrten mit niedriger Wattzahl.
Neben dem Radfahren bereite ich mich mit Dehnen und Gymnastik vor. Ich mag das Faszientraining mit der Blackroll und arbeite auch mit einem Osteopathen zusammen, der die Verspannungen vor allem im Nackenbereich löst. Denn beim Rennen fahren wir mit möglichst wenig Luftwiederstand, man nennt das in der Aeroposition. Das bedeutet, dass wir Kopf und Rücken lange Zeit gesenkt halten. Dabei verkrampfen sich die Nacken- und Halsmuskeln extrem.
Redaktion: Zusätzlich zum Training stehen auch regelmäßige Checkups beim Arzt an.
Thelen: Ja, das ist richtig. Natürlich haben wir vorab zunächst mittels EKG und verschiedener Tests gecheckt, ob wir überhaupt dieser hohen Belastung gewachsen sind. Danach ging es mittels verschiedener Tests darum, unser Training so individuell zu gestalten, um uns möglich auch noch zu verbessern. Unser Arzt ist Dr. Rüdiger Walscheid aus Koblenz. Beim letzten Checkup wollten wir herausfinden, wie sich das Training der letzten sechs bis acht Wochen ausgewirkt hat. Dafür haben wir eine Ergospirometrie gemacht. Das Ergebnis war, dass alle mit leicht reduzierter Herzfrequenz eine gestiegene Watt-Leistung, also mehr Kraft hatten.
Redaktion: Warum machen Sie das? Die monatelange Vorbereitung, der Verzicht.
Thelen: Wir möchten nicht mit erhobenen Zeigefinger Menschen ermahnen, mehr Sport zu machen. Wir möchten zeigen, dass fast alles möglich ist und man nie aufgeben oder anhalten sollte. Unser Motto ist: Never Stop Moving. Durch so eine verrückte Aktion bekommen wir Aufmerksamkeit und wir möchten zeigen, dass auch verrückte Pläne umsetzbar sind. Nicht jeder soll ein Ultrarennen machen. Aber ab und zu über sich hinauswachsen und dabei Lebensfreude genießen.
Redaktion: Was machen Sie, wenn Sie an einem Punkt nicht weiterkommen? Haben Sie eine Philosophie?
Thelen: Ich würde sagen: Weitermachen. Einfach weitermachen. Nach jedem Tief kommt auch wieder ein Hoch, jedes Tief geht vorbei. Einen Marathon kann man nur absolvieren, indem man einen Schritt nach dem anderen macht. Und das ist im Leben auch so. Bei den meisten Rennen hat man körperliche Schmerzen. So lange ich nicht ernsthaft verletzt bin, mache ich weiter. Die Schmerzen vergehen.
Es ist sogar so, dass unser Körper oft noch mehr kann, als dass was wir ihm zutrauen. Wer 6 km laufen kann, wird körperlich auch 8 schaffen. Es geht um Herzblut, Emotionen, Spaß und Zielorientierung – dafür steht Never Stop Moving. Und wir möchten auch nicht nur zur sportlichen Aktivität ermuntern. Das gilt für alle Bereiche, zum Beispiel in der digitalen Welt. Auch hier können Oldies mehr Verantwortung übernehmen und damit selbstständiger bleiben. Auch 80-Jährige können in sozialen Medien aktiv sein, ein Smartphone bedienen oder eine E-Mail schreiben. Dafür brauchen sie ihre Enkel nicht.
Redaktion: Sie werden sicher oft auf Ihr Alter angesprochen. Finden Sie es schade, dass es oft nur darum geht?
Thelen: Nein, gar nicht. Um heute Gehör zu finden und andere Menschen zu motivieren, muss man eben etwas einzigartiges oder verrücktes tun. Und das ist es doch, wenn vier 80-Jährige sich auf den Fahrradsattel schmeißen und quer durch die USA radeln.
Redaktion: Sie bezeichnen sich als Team Hörluchs – Hörluchs ist einer Ihrer Sponsoren, ein Hörgerätehersteller. Warum?
Thelen: Hören ist ein wichtiges Thema im Alter, denn das Hörvermögen nimmt dann oft rapide ab. Trotzdem tragen viele Ältere kein Hörgerät. Brillen trägt heute fast jeder – die sind modisch. Ich kenne keinen, der sich dafür schämt. Aber bei Hörgräten ist das anders. Das wollen wir ändern. Wer nicht hört, nimmt weniger an der Gesellschaft teil. Dabei wäre es so einfach, dem vorzubeugen. Ich selbst probiere nun mein erstes Hörgerät aus.
Wir verabschieden uns von Paul Thelen und möchten ihm und seinem Team alles Gute wünschen. Hals und Beinbruch? Oder wie heißt das unter Radfahrern? „Kette rechts“ ist seine Antwort. Also: Kette rechts und kommt gesund wieder!